Die Inflation hat die gesamte Welt im Griff. Nach Jahrzehnten, geprägt von niedrigen Inflationsraten und dem Gespenst der Deflation (mit der Gefahr eine gefährlichen Spirale von Preisreduktionen und Konjunkturschwäche), erleben wir nun nach etwa fünf Jahrzehnten in praktisch allen entwickelten Volkswirtschaften wieder Jahresinflationsraten im hohen einstelligen Bereich. Die ökonomische Theorie sagt uns, dass Inflation angebots- oder nachfragegetrieben sein kann. Im Moment ist sie in Österreich beides. Nachholeffekte und die Abfederungsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen haben letztes Jahr zu hohem Wachstum, Kaufkraftstabilität in vielen Haushalten und damit zu einer Stabilisierung des privaten Konsums geführt. Die andere Seite der Medaille ist eine etwas höhere Inflationsrate als im EU-Durchschnitt. Dazu kommen für Österreich nachfrageseitige Spezialeffekte, wie eine im internationalen Vergleich besonders robuste (auch internationale) Nachfrage von Tourismusdienstleistungen. Die angebotsinduzierten Bestandteile der Inflation sind in vielen Ländern ähnlich: hohe Energiekosten, Lieferkettenprobleme und ein hoher Arbeits- und Fachkräftebedarf, der die Löhne treibt.
Könnte man die Preise nicht einfach einfrieren?
Diese Forderung kommt immer wieder, gerade für Preise von Energie oder für Lebensmittel, aber auch für Treibstoffe. Natürlich immer nur dann, wenn die Preise steigen, nicht wenn sie sinken. Funktionierende Märkte haben den generellen Vorteil, dass die nachgefragte Menge der angebotenen Menge entspricht. Der Preis ist das Ergebnis dieses Gleichgewichts. Nehmen wir also den Preis für Hotelzimmer. In der Nebensaison, wo die nachgefragte Menge geringer ist, ist auch der Preis niedriger. Wenn gerade eine Großveranstaltung in einer Stadt stattfindet – sagen wir eine große Messe oder etwa ein Konzert von Beyoncé (https://orf.at/stories/3320404) – dann sind die Preise höher. In der Praxis ist der Preisfindungsprozess natürlich komplizierter: er hängt von der Preistransparenz ab, von der Preissensibilität der Nachfrage, von der Anzahl der Anbieter am Markt, von möglichen Entscheidungsfehlern der Konsumentinnen und Konsumenten (die von Anbietern systematisch ausgenutzt werden können), von exogenen Faktoren, wie dem Wetter oder der Saison, von der verfügbaren Technologie, von der Besteuerung, usw. Manchmal schwankt der Preis nach Saison oder während des Tages. Es kann sogar zu gewissen Zeiten passieren, dass es überhaupt kein Angebot gibt oder überhaupt keine Nachfrage. Unabhängig von diesen vielen Faktoren gilt generell – außer für den Fall eines einzigen Anbieters – dass eine Preisobergrenze unterhalb des sogenannten markträumenden Preises zur Verknappung des Gutes oder der Leistung führt: es gibt dann mehr Nachfrage und weniger Angebot. Verknappung heißt in der Praxis: lange Schlangen, um das Gut zu erhalten, staatliche Zuteilung, first-come-first-serve, oder ähnliche Zuteilungsmechanismen (technisch: Allokationsmechanismen). In anderen Worten: Die populistische Forderung nach staatlich fixierten Preisobergrenzen klingt gut (wer möchte nicht am liebsten möglichst wenig bezahlen), führt aber fast immer zu einer Verschlimmbesserung. Daher ist das österreichische Preisgesetz auch sehr explizit und sieht sehr strenge Kriterien für Eingriffe in die Preise von Lebensmittel und Treibstoffen vor. Die negativen Erfahrungen mit Preisobergrenzen in Österreich im letzten Jahrhundert und jetzt wieder in einigen Ländern, die diese angesichts der Preisanstiege eingeführt haben, bestätigen die Vorsicht des Preisgesetzes. Es ist für Fälle konzipiert, wenn der Markt überhaupt nicht (mehr) funktioniert, z.B. bei massiven Versorgungsengpässen durch Naturkatastrophen, Kriege, lange Streiks, usw.
Aufgrund der europäischen Liberalisierung der Energiemärkte, erlaubt das österreichische Preisgesetz keine Eingriffe in die Preise von Strom und Gas. In diesen Bereichen, die ja zu einem guten Teil von öffentlichen Unternehmen bzw. von Unternehmen, die mehrheitlich oder zum Teil im öffentlichen Eigentum sind, beherrscht werden, gelten auch etwas andere Voraussetzungen. Hier gibt es die verschiedensten Eingriffe über das Marktdesign (die Preisbildung) oder über regulierte Preise, die dann öffentlich subventioniert werden. In einem der folgenden Einträge werde ich dazu mehr sagen, weil dieser Bereich potentiell am wichtigsten ist, wenn es darum geht, welche Möglichkeiten gegebenenfalls Nationalstaaten haben, die Inflationsrate zu reduzieren. Der Beschluss des Ministerrats zur Senkung der Wirkungsgrenze bei der Zufallsgewinnbesteuerung auf erneuerbare Energie geht in diese Richtung und soll die Preise für Strom senken, nachdem die Entkoppelung von Strom- und Gaspreis, für die sich Österreich massiv eingesetzt hat, keine Mehrheit auf europäischer Ebene findet. Die Hauptverantwortung zur Inflationsreduktion im Euroraum liegt aber bei der Europäischen Zentralbank und deren Geldpolitik.
Wer also einfach „Preise runter“ fordert, ohne über die Nachteile von Eingriffen ins Preissystem zu informieren, der wünscht sich wohl den sprichwörtlichen warmen Eislutscher: Klingt gut, ist es aber sehr oft nicht. Es ist bezeichnend, dass gerade linke Ökonominnen und Ökonomen die Inflation jetzt besonders dramatisch beurteilen, nachdem sie vor etwas mehr als einem Jahr noch eine viel expansivere Fiskalpolitik gefordert haben und die damit verbundene Inflationsgefahr entweder negiert oder in Kauf genommen hätten – Stichwort: Modern Monetary Theory. Die große Mehrheit der Ökonominnen und Ökonomen haben immer schon gewusst, dass Inflation belastend ist.
Was tun gegen die Inflation?
Was hilft nun am besten gegen eine Inflation, die sowohl nachfrage- als auch angebotsseitig verursacht ist. Auf der Nachfrageseite ist es das Zusammenspiel der Geldpolitik (höhere Zinsen) und der Fiskalpolitik (weniger Ausgaben). Eine restriktivere Geld- und Fiskalpolitik führt aber zu weniger Wachstum, weniger Kaufkraft und potentiell sozialen Ungleichgewichten. Daher braucht es bei den Entscheidungen viel Augenmaß, das derzeit aus meiner Sicht sowohl die EZB als auch die österreichische Fiskalpolitik aufbringt. Das heißt nicht, dass man nicht ex post gewisse Entscheidungen bzw. Entscheidungszeitpunkte kritisieren kann, aber generell ist die Ausrichtung der Politik vernünftig.
Auf der Angebotsseite gibt es mehrere Ansatzpunkte: Einerseits hilft es, Flaschenhälse in der Produktion zu beseitigen (die bekannten Lieferkettenengpässe) und Unsicherheit zu reduzieren (die Gefahr einer Energieknappheit hat die Preise massiv befeuert). Andererseits helfen Preistransparenz und Wettbewerb. Gemeinsam sichern die beiden Prinzipien, dass Preissenkungen bei den Inputs auch rasch an Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben werden. Preistransparenz kann aber von Anbietern auch zur Koordination höherer Preise verwendet werden. Umso wichtiger ist es also hier Lösungen zu finden, die im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten wirkt. Letztere müssen dann auch preissensible Entscheidungen treffen, damit die Transparenz auch eine Rolle spielt und die Preise wirklich nach unten gehen. Wenn ein Großteil – und ich spitze jetzt das Argument unzulässig zu – in sein Stammlokal geht und dort ihr Bier kauft, egal wie hoch der Preis ist, dann ist jedes Instrument der Preistransparenz und des Wettbewerbsrechts wirkungsschwach.
Und besonders kontrovers ist die Rolle der Löhne. Der Lohn ist der wichtigste Preis einer Volkswirtschaft: der Preis für Arbeit. Auch da braucht es eine pragmatische Analyse. Der ÖGB hat völlig recht: Die Inflation wurde nicht durch höhere Löhne ausgelöst; es gab aus meiner Sicht keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale. Allerdings spielt natürlich nun – bei bestehender Inflation – die Lohnpolitik eine Rolle. Es tragen jetzt alle einen Teil der Verantwortung bzw. es müssen alle mitmachen, wenn es um die Rückführung der Inflation geht: die EZB, die Unternehmen, die Politik, die Sozialpartner und die Konsumentinnen und Konsumenten.
Foto: Envato Elements/dolgachov