Österreich hat im Europavergleich ein außergewöhnliches System der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsmarktpolitik. Das fällt einem dann auf, wenn man mit Ministerkolleginnen und -kollegen über österreichische Besonderheiten spricht, wie etwa den unbefristeten Bezug der Notstandshilfe, die aus den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen finanziert wird, oder die Möglichkeit der geringfügigen Nebenbeschäftigung neben dem Bezug des Arbeitslosengeldes. Österreich hat auch ein sehr erfolgreiches System: Was die aktive Arbeitsmarktpolitik betrifft, haben wir unsere ehemaligen Vorbilder wie Dänemark oder Schweden mindestens schon eingeholt, wenn nicht überholt. Nota bene: In beiden Ländern ist die Arbeitslosigkeit derzeit höher als in Österreich. Zu Österreichs erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik haben innovative Maßnahmen in den letzten 30 Jahren, durchgeführt sowohl von SPÖ- als auch von ÖVP-Ministerinnen und Ministern, beigetragen. Besonders hervorzuheben im neuen Jahrtausend sind die beiden Langzeitarbeitsminister Martin Bartenstein und Rudolf Hundstorfer.
Und trotz dieses unbestrittenen Befundes bleibt die Arbeitsmarktpolitik fast so ideologisch wie eh und je. Das überrascht umso mehr als, erstens, das Ziel der Arbeitsmarktpolitik – nämlich Vollbeschäftigung – über alle Parteigrenzen hinweg unumstritten ist und, zweitens, über erfolgreiche Elemente der aktiven Arbeitsmarktpolitik – Qualifizierung während der Arbeitslosigkeit, Wiedereingliederungsunterstützung, sozialökonomische Betriebe als zweiter Arbeitsmarkt, Ausbildungsgarantie bis 25 und vieles andere mehr – weitgehend Konsens herrscht und auch relativ viel empirisches Wissen über Wirksamkeit und Effizienz der Maßnahmen vorhanden ist.
Trotzdem wird trefflich und gerne gestritten. Jetzt weiß ich, dass ich auch manchmal persönliche Angriffe aus der SPÖ oder der Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht immer ganz ernst nehmen darf, weil halt ein Minister, der von der ÖVP nominiert wurde und nicht aus den eigenen Reihen kommt, gerade in der Arbeitsmarktpolitik kaum etwas richtigmachen kann. Der Präsident der Wiener Austria lobt ja auch recht selten das gute Spiel von Rapid im Pauseninterview eines Wiener Derbys. Umso wichtiger ist es als Minister, notwendige Maßnahmen einzuordnen und zu erklären, dass sich alle – abseits des ermüdenden ideologischen Schaurangelns, das die immer gleichen Begriffe wie „Druck“, „Schikane“ oder Ähnliches verwendet – ein besseres Bild auch im internationalen Vergleich machen können.
Letztens gab es einige Anlassfälle; wir haben in Erlässen an das AMS Aspekte der Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik präzisiert und gleichzeitig die allgemeinen Zielvorgaben an das AMS nach fünf Jahren wieder aktualisiert. Zwei von vielen Bestandteilen haben besondere Aufmerksamkeit erfahren. Zum einen ging es in der Diskussion um den geringfügigen Nebenverdienst während des Bezugs des Arbeitslosengeldes. Ehrlich gesagt kann ich die Aufregung über diesen Punkt nicht verstehen. Es gibt klare Evidenz, dass die Geringfügigkeit zur Verlängerung von Arbeitslosigkeit führt. Zudem wollen wohl alle, dass möglichst viele Menschen ein vollversichertes Dienstverhältnis – sei es Teilzeit oder Vollzeit – angeboten bekommen und damit die Arbeitslosigkeit beendet wird. Ich würde ja verstehen, wenn es Diskussionen gäbe, hätten wir die Geringfügigkeit während der Arbeitslosigkeit ausgeschlossen. Davon war allerdings nie die Rede. Es gibt einige Gruppen von Arbeitssuchenden, für die das Instrument – wenn auch nicht ideal – Chancen verbessert und vielleicht sogar für eine bessere Integration am Arbeitsmarkt sorgt. Aber für einen Großteil der gut 30.000 Arbeitssuchenden mit geringfügiger Beschäftigung wäre ein vollversichertes Beschäftigungsverhältnis bei weitem besser. Eine rezente WIFO-Studie zeigt, dass man 10.000, vielleicht sogar 15.000 Menschen voll in den Arbeitsmarkt integrieren könnte, hätte man klarere Regeln bei der Geringfügigkeit. Unser Erlass sieht daher zwei Elemente vor: Erstens die Verpflichtung des Arbeitssuchenden, der geringfügig beschäftigt ist, gelegentlich bei seiner Arbeitgeberin bzw. seinem Arbeitgeber zu fragen, ob sie bzw. er nicht ein vollversichertes Teil- oder Vollzeitdienstverhältnis anbieten könnte. Zweitens die stärkere Kontrolle, gemeinsam mit der Finanzpolizei, von Betrieben, die viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anbieten und gleichzeitig offene Stellen aufweisen. Aus meiner Sicht ist das ein ausgewogenes und allen Seiten zumutbares Augenmerk auf Geringfügigkeit, mit dem Ziel deren negative Wirkungen einzudämmen.
Zum zweiten wurde in den allgemeinen Zielvorgaben, neben vielen anderen unumstrittenen Vorhaben, wie zum Beispiel die stärkere Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik auf Prävention, damit Arbeitslosigkeit erst gar nicht eintritt, bzw. auf so genannte „early interventions“, damit Perioden der Arbeitslosigkeit so kurz wie möglich bleiben, auf die Notwendigkeit der Verstärkung von Bemühungen zur überregionalen Vermittlung von Arbeitssuchenden hingewiesen. Hier kann ich durchaus verstehen, wenn die falsche Darstellung dieses Vorhabens Verunsicherung verursachen kann, aber diese lässt sich sehr leicht auflösen. Die gesetzlichen Zumutbarkeitsbestimmungen bleiben unverändert, und ich halte sie auch in der aktuellen Form für grundsätzlich richtig, gerade was die Bestimmungen zur überregionalen Mobilität betrifft (Anmerkung: diese wurden 2007 nach einer Sozialpartnereinigung mit Stimmen der SPÖ beschlossen). Da wird natürlich – und das ist gut so – die Familie geschützt, Betreuungspflichten werden berücksichtigt und auch mögliche Kosten eines Umzugs. Niemand, der irgendwo familiär verwurzelt ist, muss fürchten, dass er oder sie gezwungen wird, wegen eines Arbeitsplatzes umzuziehen. Allerdings wäre es angesichts der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit in Wien sehr wichtig, dass wir es schaffen, mehr Arbeitssuchende aus Wien, die hier nicht verwurzelt sind, in die westlichen Bundesländer zu vermitteln. Das war bisher immer schwierig, wie übrigens auch in vielen anderen europäischen Ländern, die ein regionales Gefälle bei der Arbeitslosigkeit aufweisen. Weil das bisher so schwierig war, sprechen die allgemeinen Zielvorgaben vor allem von zusätzlicher Förderung, von der Verantwortung der Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgeber und der Gemeinden bezüglich Wohnraum und sozialem Umfeld. Die Arbeitslosigkeit in Wien liegt bei über 10%, in allen anderen Bundesländern liegt sie bei unter 6%, in vielen bei 4%. Viele soziale Probleme könnten reduziert werden, wenn es uns gelänge, vor allem Migrantinnen und Migranten, die oft in der Grundversorgung in den westlichen Bundesländern untergebracht sind, dann aber mit dem Asylbescheid nach Wien umziehen, auf einen Arbeitsplatz außerhalb Wiens zu vermitteln. Das ist, so hat es AMS-Vorstand Johannes Kopf genannt, eine Herkulesaufgabe, aber eine, der wir uns stellen müssen.
Foto: BKA/Dunker