Natürlich ist diese Einschätzung nicht ganz neutral. Aber wie man in einem Land, welches eine der höchsten Steuerquoten der Welt aufweist, noch mehr und höhere Steuern fordern und damit ein Schlaraffenland versprechen kann, ist mir unverständlich. Auch wie man in einem Land mit einer Exportquote von über 60% und einem demografisch bedingten enormen Arbeitskräftebedarf in den nächsten 15-20 Jahren ernsthaft den Vorschlag machen kann, sich in einer „Festung“ einzumauern und sich aus der EU zurückzuziehen, ist mir schleierhaft. Ersteres verringert unseren Wohlstand, letzteres verringert den Wohlstand massiv und verzwergt uns zusätzlich.
Aber eigentlich wollte ich über die Seriosität von Finanzierungskonzepten der Ideen für die kommende Legislaturperiode schreiben. Wie ist die Ausgangslage? Die Pandemie und die Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben die Budgets der letzten Jahre belastet. Aber: Große budgetäre Belastungen aus diesen Gründen sind für 2025 derzeit nicht vorgesehen. Das heißt ganz klar: Die Aussage, Pandemie- und Energieförderungen bringen das Budget aus dem Ruder, ist komplett falsch. Sie spielen für den Budgetpfad eine geringe Rolle.
Permanente Budgetvigilanz
Aber, und das ist der entscheidende Punkt, wir leben in einem neuen Budgetparadigma wegen der Abschaffung der Kalten Progression und der Valorisierung von Familien- und Sozialleistungen. Nennen wir die daraus entstehende Notwendigkeit „permanente Budgetvigilanz“. Durch die Kalte Progression und die nominelle Fixierung von vielen Leistungen hatten frühere Regierungen jedes Jahr — bis zu einer „großen“ Steuerreform (die dann gelegentlich, je nach konjunktureller Lage, auch mal ein, zwei Jahre zeitlich nach hinten geschoben wurde) — je nach Stärke der Inflation einen zusätzlichen budgetären Spielraum von einigen hundert Millionen bis zu einigen Milliarden pro Jahr. Natürlich wussten das sowohl die Regierungsmehrheit im Parlament als auch die Ministerien, und es ging jedes Jahr eifrig ums Verteilen von diesen zusätzlichen Mitteln.
Damit ist nun Schluss. Jedes zukünftige Budget erfordert ein ehrliches Abwägen: Was braucht man wirklich und was nicht? Neue Programme müssen durch Einsparungen anderswo oder durch Effizienzsteigerungen finanziert werden. Sie können auch durch höheres Wirtschaftswachstum erreicht werden. Aber es gibt kein „Schummeln“ mehr; es braucht daher „Zero-based Budgeting“ — das Durchleuchten der Budgetansätze auf mögliches Potential und einen möglichst strikten Budgetvollzug. Ich halte die Abschaffung der Kalten Progression und die Valorisierung der Leistungen für die richtige Entscheidung von Finanzminister Magnus Brunner und eine der mutigsten Regierungsentscheidungen der letzten Jahrzehnte (neben einigen anderen dieser Regierung); sie muss nun die nächsten Jahre von einer redlichen Budgetpolitik begleitet werden und vor allem von der Erklärung dieser Zusammenhänge für die Öffentlichkeit. Entscheidend ist, die Menschen in Österreich haben, wenn man Kollektivvertragsabschlüsse mit berücksichtigt, jedes Jahr automatisch — nach Steuern und Leistungen — die gleiche oder eine höhere Kaufkraft und nicht so wie vor dieser Legislaturperiode jedes Jahr einen potentiellen Kaufkraftverlust.
Gegenfinanzierungsrechnung
Angesichts dieser Ausgangslage braucht es für Abgabensenkungen in den Wahlprogrammen eine Gegenfinanzierung. Ich gehe jetzt nicht auf alle diese Rechnungen ein. Die SPÖ verspricht mit — realistischerweise geringen Einnahmen aus zusätzlichen Steuern — „Milch und Honig“. Das kann sich nicht ausgehen. Bei der FPÖ gibt es überhaupt keine Gegenfinanzierungsrechnung. Nun hängt die Gegenfinanzierungsrechnung der ÖVP (siehe etwa hier: https://www.krone.at/3510930) für die Lohnnebenkosten- und Steuersenkungen in ausgewählten Bereichen auch von einem höheren Wirtschaftswachstum ab (das es in den nächsten Jahren sicher geben wird, wenn man die schwache Wirtschaftsentwicklung 2023 als Referenzwert nimmt), aber sie zeigt ganz klar auch ausgabenseitige Potentiale auf. Fangen wir mit den Förderungen und dem Budgetvollzug an:
1. Die versprochenen Erleichterungen bei Steuern und Abgaben kommen nicht von heute auf morgen. Die stufenweise Senkung der Lohnnebenkosten (um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr) erlaubt es etwa, am Beginn der Legislaturperiode auch strukturelle Verbesserungen zu beschließen, die mittelfristig budgetäre Spielräume schaffen – Schritt für Schritt.
2. Dieses Jahr, also 2024, werden noch weit mehr als eine Milliarde für auslaufende Energiehilfen für das Jahr 2023 ausgeschüttet, weil die Abrechnung naturgemäß erst im Nachhinein erfolgen kann, wenn die Energierechnungen vorliegen. Dieser Betrag fällt 2025 schon mal weg. Jetzt sagen einige, das sei schon berücksichtigt im Budgetpfad. Teilweise stimmt das auch. Aber nur ein Beispiel: Für den Energiekostenzuschuss II hat das Parlament 1,5 Milliarden Budgetrahmen plus noch einmal 1,5 Milliarden im Rahmen einer sogenannten Mittelverwendungsüberschreitung vorgesehen. Gebraucht werden wird – wegen des seriösen Designs des Förderrahmens und der gesunkenen Energiepreise – sehr wahrscheinlich weniger als 1,5 Mrd.
3. Meiner Meinung nach sollten alle Förderungen auf Effektivität durchleuchtet werden. Diese „Spending Reviews“ fordert auch die OECD. Man findet dabei sicher welche, die nicht mehr zeitgemäß oder zielgerichtet sind. In einigen Bereichen ist es sogar möglich, die gleichen Ziele günstiger zu erreichen. Nur ein Beispiel: Ich denke, man könnte die steuerliche Behandlung des Klimabonus so weiterentwickeln, dass ein budgetären Spielraum im mittleren dreistelligen Millionenbetrag zu erzielen wäre, ohne die gewünschten Lenkungs- und Verteilungswirkungen des Instruments zu kompromittieren. Bei Unternehmensförderungen könnte man anstelle von Direktförderungen stärker auf Steuergutschriften setzen.
4. Es gibt strukturelle Komponenten im Budgetpfad, die die Gegenfinanzierung erleichtern. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im privaten Bereich und im öffentlichen Dienst gehen in Pension. Wenn es gelingt, die bereits begonnene Erhöhung des faktischen Pensionsalters weiterzuführen (und diese Annäherung an das gesetzliche Pensionsantrittsalter durch weitere Maßnahmen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinnenseite zu beschleunigen) und es gleichzeitig attraktiver zu machen, nach dem Erreichen des Regelpensionsalters weiter zu arbeiten für jene, die das gerne möchten (auch in Teilzeit), ergeben sich höhere Steuer- und Abgabeneinnahmen. Zudem ist die demografische Entwicklung eine Chance, Produktivitätsgewinne aus Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz zu nutzen, gerade auch im öffentlichen Bereich. Expertinnen und Experten schätzen hier ein zusätzliches Wachstumspotential von bis zu einem Prozentpunkt pro Jahr (siehe etwa: https://news.microsoft.com/wp-content/uploads/prod/sites/48/2024/08/20240722_KI-und-Produktivitat_EcG.pdf), wobei man hier natürlich vorsichtig sein muss mit allzu optimistischen Szenarien. Auch bei der Arbeitslosenversicherung gibt es bis 2029 Potential – neben einer Arbeitslosenversicherungsreform wird die Demografie zu strukturell geringerer Arbeitslosigkeit führen. Die daraus resultierenden Minderausgaben sollten für Beitragssenkungen für (Gruppen von) Arbeitnehmer und Arbeitgeberinnen verwendet werden, weil Österreich derzeit ohnehin eine der höchsten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in der Welt aufweist.
5. Noch ein Beispiel: Das Österreich-Programm des Bundeskanzlers sieht richtigerweise höhere Investitionen in Forschung, Innovation und Entwicklung vor. Österreich will hier Spitzenreiter in Europa werden. Alle Studien zeigen, dass das höhere Wachstumsraten generiert und die Ausgaben sich mittelfristig mehr als selbst finanzieren.
Man könnte die Liste ohne Probleme fortsetzen und weitere Potentiale für mehr budgetären Spielraum finden. Dafür ist kein Sparpaket nötig, sondern eine weiterhin seriöse Budgetierung und ein strikter Budgetvollzug. Die OECD und auch der Fiskalrat haben dazu Vorschläge gemacht, die man nicht nur anschauen, sondern detailliert bewerten muss. Die öffentliche Debatte dreht sich leider oft um Überschriften („Föderalismus, Gesundheitssystem“), und auch der Fiskalrat tut sich manchmal schwer, die unterschiedlichen Interessen der im Gremium vertretenen Sozialpartner so auszugleichen, dass er zu kohärenten und im Detail umsetzbaren Vorschläge kommt. Hier wird in den nächsten Jahren – wiederum wegen der Abschaffung der Kalten Progression und der Valorisierung der Leistungen und der daher nötigen Budgetvigilanz – mehr gesamtgesellschaftliches und budgetäres Verantwortungsbewusstsein der Sozialpartner und aller Stakeholder nötig sein, bei allem Verständnis für deren Auftrag als „Interessens“-Vertretungen. Eine redliche Politik schafft das. Ein wichtiger Schritt wird hoffentlich auch dadurch gelingen, dass die Regierungsmehrheit ein teures freies Spiel der Kräfte im Parlament kurz vor der Wahl verhindert. Auch das ist Verantwortungsbewusstsein.
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