(Aber es gibt keinen Grund, sich dabei gut zu fühlen)
Dieser leicht abgewandelte Songtext von REM beschreibt die aktuelle internationale handelspolitische Lage. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Welthandel stetig zugenommen. Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis das Niveau, relativ zur Wirtschaftsleistung, wieder jenes erreicht hatte, das schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts erzielt und durch zwei Weltkriege zerstört worden war. Alle Länder sind durch Handel reicher geworden. Vielen Ländern hat der internationale Handel aus bitterer Armut geholfen. Die unterschiedlichen ökonomischen Theorien – von Adam Smith bis Paul Krugman – begründen theoretisch die Vorteile von möglichst umfangreichem Freihandel ohne tarifäre und nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen. Das alles ist empirisch so gut belegt wie wenig andere ökonomische Theorien. Und natürlich gibt es Ausnahmen, bei denen andere Überlegungen die Vorteile aus dem Freihandel überwiegen: z.B. nationale Sicherheit, notwendige phytosanitäre Maßnahmen und Aspekte der Gesundheitsversorgung. Aber grundsätzlich gilt: internationaler Handel steigert die Wohlfahrt, und mit der gegebenenfalls nötigen nationalen Arbeitsmarkt- und Verteilungspolitik kann jede Konsumentin und jeder Konsument besser gestellt werden.
Und innerhalb weniger Wochen hat der Präsident der USA, entgegen der Faktenlage und entgegen der Einschätzung aller Expertinnen und Experten in den USA und allen anderen Ländern, den Merkantilismus des 17. und 18. Jahrhunderts und den Protektionismus der Zwischenkriegszeit wiederbelebt – wirtschaftspolitische Ansätze, die schon damals wirtschaftlich und politisch krachend gescheitert waren. Es ist ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn handelspolitisch seit der Zwischenkriegszeit nicht mehr erlebt haben. Daher braucht es eine kluge und robuste Antwort der Europäischen Union. Die EU ist der wichtigste handelspolitische Akteur in der Welt; ihre Reaktion wird anderen Volkswirtschaften in der Welt als Vorbild dienen.
Die Antwort der Europäischen Union
Der wichtigste Teil dieser EU-Antwort ist wohl: Allianzen schmieden. Alle Staaten in der Welt, die weiter für internationalen Handel und internationale Arbeitsteilung stehen, müssen möglichst geeint auftreten. Freihandelsabkommen sollen beschleunigt abgeschlossen und noch bestehende Handelsbeschränkungen zwischen den Ländern rasch abgebaut werden. Auch das Mercosur-Abkommen muss möglichst rasch in Kraft treten. Bei allem Verständnis für die Bauernvertreterinnen und -vertreter in ganz Europa, jetzt ist keine Zeit für Mobilisierungskampagnen. Wenn es weitere Maßnahmen braucht, um unfairen Wettbewerb oder Störungen der EU-Märkte für landwirtschaftliche Produkte durch das Mercosur-Abkommen zu verhindern, dann sollen diese diskutiert und Absicherungen rasch implementiert werden. Aber eine Fundamentalopposition ist angesichts der geopolitischen Lage nicht nachvollziehbar. Das gilt natürlich ebenso für alle Parteien und NGOs, die bestehende Ressentiments gegenüber Mercosur zur eigenen Mobilisierung nutzen.
Wenn es der EU nicht gelingt diese Allianzen zu schmieden, drohen Überkapazitäten auf den Weltmärkten. Güter und Dienstleistungen, die wegen der US-Zölle nicht mehr in die USA exportiert werden, können andere Märkte erheblich destabilisieren. Außerdem droht der endgültige Zerfall der Welthandelsorganisation WTO und damit ein rechtsfreier Zustand, der dazu führt, dass das Recht des Stärkeren gilt. Gerade eine Union aus vielen mittelgroßen Staaten kann das nicht zulassen.
Zweitens muss die EU jene Gruppen in den USA für sich gewinnen, die unter den Zöllen leiden. Das sind vor allem die Konsumentinnen und Konsumenten, weil Zölle nichts anderes sind als Steuern auf Importe. Aber auch viele Industriebetriebe in den USA werden Marktanteile und Absatzchancen einbüßen, weil sie durch Zölle verteuerte Importgüter als Inputs verwenden müssen und dadurch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Deal or no deal
Die EU-Kommission hat dem US-Präsidenten einen „Deal” angeboten. Das ist grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, mit welcher Rhetorik Donald Trump seine Zollpolitik legitimiert und wie erratisch er bei der Implementierung vorgeht. Er könnte, wenn es einen für die USA vorteilhaften Deal im Bereich des internationalen Handels gibt, auf die Idee kommen, seine Strategie in ähnlicher Form in anderen Bereichen – Technologiekooperation, Sicherheit, etc. – ebenfalls anzuwenden. So unerfreulich das ist: Nur mit eigener Stärke, also mit einem guten Blatt in der Hand, kann man einer Haudrauf-Politik begegnen. Die EU ist der vernünftigste Akteur in der Weltpolitik – das ist ein Riesenvorteil. Die Spieltheorie lehrt uns, dass die optimale Antwort auf eine unvernünftige Bluff-Strategie im Poker nicht notwendigerweise nur aus vernünftigen Reaktionen besteht: die optimale Antwort ist eine Mischung aus Vernunft, (wenn möglich) die nachhaltige Verbesserung der eigenen Situation und manchmal auch ein kleiner Gegen-Bluff.
Das Problem, auf das die EU und auch andere Staaten stoßen, ist die Widersprüchlichkeit der Zielsetzungen des US-Präsidenten. Er will offensichtlich weiter einen Überschuss in der Kapitalverkehrsbilanz (also mehr internationale Investitionen in den USA), aber gleichzeitig kein Leistungsbilanzdefizit – das schließt sich aus. Genauso wie sich gleichzeitig Vollbeschäftigung, hohes Wachstum und keine Inflation ausschließen. Es ist das Markenzeichen populistischer Politik – egal ob links oder rechts im politischen Spektrum – dass sie ökonomische Realitäten für Aufmerksamkeit und “einfache Lösungen” ignoriert. Das geht möglicherweise eine Zeitlang gut – und je größer die Volkswirtschaft, desto länger kann es gut gehen – aber irgendwann, und über die Aktienmärkte meist dann doch früher als später, wird die ökonomische Rechnung für populistische Politik präsentiert. Im Fall der USA leidet unter ihr aber nicht nur eine Volkswirtschaft, sondern viele Volkswirtschaften in der Welt.
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