Arbeit ist in Österreich mit hohen Abgaben belastet. Diese Abgaben setzen sich aus Steuern und Beiträgen zusammen. Letztere werden gemeinhin als Lohnnebenkosten bezeichnet, obwohl die Trennung nicht ganz eindeutig ist. Lohnnebenkosten werden im Gegensatz zur Einkommenssteuer anteilig (allerdings nicht immer zu gleichen Teilen) vom Arbeitgeber bzw. von der Arbeitgeberin und vom Arbeitnehmer bzw. von der Arbeitnehmerin abgeführt.
Durch die ökosoziale Steuerreform mit dem Absenken der Tarifstufen und durch die Abschaffung der kalten Progression (der schleichenden Steuererhöhung durch die Inflation in einem progressiven Steuersystem, in dem man dann automatisch in höhere Steuerstufen fällt, ohne mehr Kaufkraft zu haben) wurde die steuerliche Belastung von Arbeit in Österreich durch die aktuelle Bundesregierung stark reduziert. Das gilt besonders für die kleineren und mittlere Einkommen.
Auch bei den Lohnnebenkosten gab es auf Initiative des BMAW zusammengenommen die größte Senkung seit Jahrzehnten. Innerhalb von zwei Jahren wurden die Beiträge zum Insolvenzentgeltfonds (-0,1%-Punkte), die Beiträge zur Unfallversicherung (-0,1%-Punkte), die Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds (-0,2%-Punkte) und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (-0,1%-Punkte) gesenkt. Insgesamt macht das ein Entlastungsvolumen von etwa 800 Millionen Euro pro Jahr allein durch die Lohnnebenkostensenkung aus. Aber gerade für kleinere und mittlere Einkommen sind die Lohnnebenkosten weiterhin jener Faktor, der die Arbeit besonders verteuert, also weniger Netto vom Brutto bedeutet.
Warum sind hohe Lohnnebenkosten problematisch?
Jedem ist klar, dass Lohnnebenkosten weniger Netto vom Brutto bedeuten. Dafür bekommt man als Arbeitnehmerin bzw. Arbeitnehmer in Österreich etwa eine vergleichsweise gute öffentliche Gesundheitsversorgung (über den Krankenversicherungsbeitrag) oder später eine gute öffentliche Pension (durch den Pensionsversicherungsbeitrag) – die Mindestpension in Österreich ist derzeit höher als die Durchschnittsrente in Deutschland! Allerdings ist aus wissenschaftlicher Sicht auch klar, dass erstens einige Bestandteile der Lohnnebenkosten nicht notwendigerweise über lohnabhängige Abgaben finanziert werden müssten, sondern auch über andere Einnahmequellen der öffentlichen Hand (z.B. der Wohnbauförderungsbeitrag), und dass zweitens im Sozialsystem das Geld möglichst gut eingesetzt werden und Ausgabendisziplin walten sollte.
Hohe Lohnnebenkosten sind aber nicht nur individuell unangenehm, sondern vor allem auch volkswirtschaftlich problematisch. Nehmen wir eine Arbeitnehmerin, eine Malerin, die netto 2.500 Euro im Monat verdient, also netto gut 36.600 Euro im Jahr (inkl. 13. und 14. Monatsentgelt). Die Gesamtkosten für die Arbeitgeberin bzw. den Arbeitgeber der Malerin betragen allerdings über 68.100 Euro im Jahr, inklusive aller Steuern und Abgaben. Rechnet man dann noch Gemeinkosten des Unternehmens und die Mehrwertsteuer dazu, kostet die Arbeitsstunde der Malerin ein Vielfaches von dem, was die Malerin netto erhält. Das führt dazu, dass gewisse Dienstleistungen nicht in Anspruch genommen werden, weil sie für die Auftraggeberin bzw. den Auftraggeber nicht leistbar sind und damit die Dienstleistung gegebenenfalls selbst erbracht wird (man malt sich die Wohnung selbst aus) oder die Dienstleistung in Schwarzarbeit erbracht wird. Die Schere zwischen dem Netto-Lohn und den Gesamtkosten einer Arbeitsstunde führt also dazu, dass reguläre (sozialversicherungspflichtige) Arbeitsplätze verloren gehen – je größer die Schere ist, desto stärker ist dieser Effekt. Darum ist es natürlich auch im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dass Arbeit nicht zu hoch mit Abgaben belastet ist, selbst wenn diese Abgaben potentiell den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (später) selbst zugutekommen.
Was kann man tun? Der Mehr-Netto-Automatismus
Es sollte außer Streit stehen, dass die Abgabenlast auf Arbeit in Österreich eine der höchsten in der Welt ist, dass diese Abgabenlast vor allem auf Lohnnebenkosten zurückzuführen ist (gerade im Bereich kleinerer und mittlerer Einkommen) und dass es grundsätzlich Ziel sein muss, diese Abgabenlast zu reduzieren. Wer sich hier einer Diskussion entzieht, handelt nicht im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch wenn die Haltung, Lohnbestandteile und Sozialversicherungsbeiträge zu verteidigen, vielleicht gut gemeint ist.
Die Lohnnebenkosten müssen in Österreich weiter sinken. Genauso wenig hilft es aber, wenn einzelne Parteien, in diesem Fall die NEOS, eine Senkung um 6,55%-Punkte fordern, ohne eine Gegenfinanzierung vorzuschlagen. Die Senkung jedes Prozentpunkts der Lohnnebenkosten reißt ein Einnahmenloch von mindestens 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Dass man 6,55%-Punkte, also 10,5 Milliarden Euro, einfach so einsparen könnte, ohne massive Leistungskürzungen, ist völlig illusorisch.
Aus meiner Sicht sollte sich die kommende Regierung auf einen Senkungspfad einigen – auf einen Mehr-Netto-Automatismus. Das könnte etwa die Senkung von 0,5%-Punkte in vier Etappen einer Legislaturperiode sein oder ein anderes numerisches Ziel. Mit den 0,5%-Punkten entstünde jedes Jahr ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf von ca. 800 Millionen Euro. Zuerst sollte man prüfen, ob die Finanzierung durch Ausgabendisziplin möglich ist – in Abhängigkeit davon, welche Lohnnebenkosten gesenkt werden – erst danach käme gegebenenfalls eine Gegenfinanzierung ins Spiel. Innerhalb von fünf Jahren hätte man die Belastung von Arbeit durch Abgaben substantiell reduziert, ohne einen Kahlschlag oder nicht gedeckte Budgets zu verursachen.
Apropos, rechtlich ist es zwar von Bedeutung, ob die Beiträge der Arbeitgeberseite oder der Arbeitnehmerseite zugeordnet werden, rein ökonomisch macht es aber keinen wesentlichen Unterschied (Stichwort: Inzidenz). Auch Arbeitgeberbeiträge müssen von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern „erwirtschaftet“ werden. Von sinkenden Arbeitnehmerbeiträgen könnten theoretisch auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber profitieren, je nach Verhandlungsmacht. In Österreich mit der höchsten Kollektivvertragsabdeckung aller OECD-Staaten und in Zeiten des Arbeitskräftemangels ist es aber klar, dass Beitragssenkungen auch auf der Arbeitgeberseite zum Großteil den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugutekommen würden.
Der „Mehr-Netto-Automatismus“ würde Arbeitsplätze schaffen und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Netto bescheren. Es wäre ein pragmatischer Ansatz, der auch realistisch umsetzbar ist. Zudem würde er ein klares Signal für den Standort Österreich senden. Natürlich hängt vieles von den Details ab: welche Lohnnenbenkostenkategorie, wie schafft man die nötige Ausgabendisziplin, woher kommt gegebenenfalls die Gegenfinanzierung. Aber eine Diskussion über ein solches Konzept ist nicht nur zulässig, sondern dringend nötig in Österreich.
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