Österreich hat eine der höchsten Exportquoten weltweit. Wir sind stolz auf österreichische Unternehmen, die auf der ganzen Welt bekannt sind. Diese Exportorientierung ist immer dann ein Vorteil, wenn sich der globale Handel dynamisch entwickelt und dann ein Nachteil, wenn es protektionistische Tendenzen in der Welt gibt. Über die letzten Jahrzehnte hat sich die österreichische Exportabhängigkeit von Deutschland reduziert, aber sie ist immer noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Die Reduktion des bilateralen Handels mit Deutschland geht einher mit einer stärkeren Exportorientierung Richtung anderer EU-Länder, aber auch Richtung entfernterer Märkte auf der arabischen Halbinsel, in Süd- und Südost-Asien sowie in Nord- und Südamerika.
Derzeit erleben wir eine ausgeprägte und langanhaltende Industrierezession. Umso wichtiger sind Impulse für die Industrie aus den Exporten. Diese Impulse können sowohl aus einer an der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs ausgerichteten Standortpolitik kommen, als auch aus einer offensiven Handelspolitik. Jede Liberalisierungsmaßnahme des Welthandels unterstützt die Erholung der Industrie, ohne dass dafür budgetäre Mittel notwendig wären (wie sie etwa oft für Maßnahmen zur Wettbewerbsstärkung gebraucht werden).
Endlich liegt der fertige Vertragstext des Mercosur-Abkommens mit der EU vor. Das Abkommen schafft die größte Freihandelszone der Welt. Reduzierte Zölle verbilligen Produkte für die Konsumentinnen und Konsumenten auf beiden Seiten. Das Abkommen war und ist trotzdem umstritten, aber schon alleine wegen der aktuellen Konjunkturflaute vor allem in der exportierenden Industrie, bin ich dafür, dass Österreich seine Haltung gegenüber dem Mercosur-Abkommen gründlich überdenkt. Als zuständiger Handelsminister bin ich an die beiden Nationalratsbeschlüsse aus 2019 gebunden, die besagen, dass ich mich bei Abstimmungen und Verhandlungen auf EU-Ebene gegen den Abschluss des Abkommens aussprechen muss. Das Gesetz sieht aber auch die Möglichkeit der neuerlichen Befassung des Parlaments durch den zuständigen Minister vor. Eine neuerliche Befassung erscheint mir auch im Sinne der Rechtssicherheit schon deshalb notwendig, weil die existierenden ablehnenden Beschlüsse aus 2019 auf einem anderen Vertragstext beruhen und damit rein rechtlich möglicherweise nicht mehr relevant sind. Die Gefahr besteht aber, dass Parteien aus reinem Populismus oder in Geiselhaft von Interessengruppen eine Chance vorübergehen lassen und Österreichs Status als starke Exportnation, die sich für Handelsliberalisierung und einen fairen Welthandel einsetzt, gefährden.
Welche Argumente sprechen für das Mercosur-Abkommen?
Das Abkommen schafft Chancen und Arbeitsplätze in Österreich. Das ist unumstritten, und ein guter Überblick findet sich hier. Weit rechts stehende Parteien und weit links stehende NGOs sprechen sich generell gegen Handelsabkommen aus. Eine solche generelle Ablehnung wäre ein Verarmungsprogramm für Österreich und jeder Kommentar dazu erübrigt sich. Aber widmen wir uns dem konkreten Abkommen. Zwei berechtigte Kritikpunkte haben die Mercosur-Debatte geprägt: Umwelt- bzw. Klimaschutz-Bedenken und mögliche Verzerrungen auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte.
Zuerst zum Umwelt- und Klimaschutz: Das aktualisierte Abkommen sieht noch stärkere Mittel zur Durchsetzung von Klimaschutzzielen vor. Nicht nur, dass das Übereinkommen von Paris und damit die Klimaziele explizit Teil des Abkommens sind und die Ausgestaltung als „essential element“ bei Verstößen sogar bis zur Aussetzung des Abkommens führen kann, sondern es gibt zusätzliche Zusicherungen und auch zusätzliche Mittel der EU aus dem Global Gateway Programm zum Erhalt des Regenwaldes und zum Schutz der Biodiversität. Es ist eine Illusion, dass der Amazonas durch das Nicht-Abschließen des Abkommens besser geschützt wäre. Ohne Mercosur würden die Mercosur-Staaten mit anderen Regionen, z.B. China, Freihandelsabkommen abschließen. Wer glaubt, dass diese Staaten mehr am Klimaschutz interessiert wären als die EU, ist nicht ganz ernst zu nehmen. Es geht nicht darum, ob dieses Abkommen oder keines abgeschlossen wird, sondern darum, ob die EU vernünftige Grundregeln mit dem Abkommen durchsetzen kann oder ob es letztere überhaupt nicht gibt. Zusätzlich greift natürlich auch für die Mercosur-Staaten die Entwaldungsverordnung der EU. Wer gerne eine Brandrede von einem grünen Minister und Kanzlerkandidaten, nämlich Robert Habeck, für das Mercosur-Abkommen hören möchte, wird hier fündig. Ich habe angesichts dieser Argumente nur begrenzt Verständnis für die Argumente der Grünen in Österreich.
Nun zur möglichen Marktverzerrung für landwirtschaftliche Produkte: Die Landwirtschaft war immer ein Zankapfel im Rahmen der langen Entstehungsgeschichte des Abkommens. Klar ist, dass nach einem Inkrafttreten vermehrt industrielle Produkte aus der EU nach Südamerika exportiert werden. Es liegt in der Natur der Sache von Abkommen, dass sie Quid-pro-quo-Komponenten enthalten. Der komparative Vorteil, also der relative (nicht absolute!) Wettbewerbsvorteil (Hintergründe zum Konzept finden sich hier, einiger der Mercosur-Staaten liegt in Teilen der landwirtschaftlichen Produktion. Insofern ist nur verständlich, dass sie einen gewissen Zugang zum europäischen Markt für diese Produkte einfordern. Der Zugang ist aber streng begrenzt. Das Abkommen sieht Quoten, also Obergrenzen, für zollbegünstigte Importe vor, die sich erst über viele Jahre aufbauen. Für Rindfleisch etwa ist eine Obergrenze von 1,6% des gesamten Rindfleischkonsums in der EU vorgesehen. Diese 1,6% sind dann aber immer noch mit einem Zollsatz von 7,5% belegt. Für den zollfreien Export von Eiern müssen etwa alle EU-Vorschriften zum Tierschutz eingehalten werden. Ich verstehe durchaus, dass die europäische Landwirtschaft lieber 0% als 1,6% Wettbewerbsdruck aus den Mercosur-Staaten hätte, aber es gibt neben den Quoten weitere Zusicherungen der Europäischen Kommission. Dazu zählen ein vertragskonformes Einschreiten bei der Einfuhr, sollte es in der Tat zu Verzerrungen auf einzelnen Märkten für landwirtschaftliche Produkte kommen, oder sogar Kompensationszahlungen an landwirtschaftliche Betriebe für den Fall von Einkommensverlusten durch die Konkurrenz aus Südamerika.
Die europäische Landwirtschaft profitiert von der EU-Handelspolitik. Landwirtschaftliche Produkte aus der EU werden in die ganze Welt exportiert. Auch österreichische Landwirtschaftsbetriebe liefern unter anderem in weit entfernte Länder, etwa nach Australien und Kanada. Gerade beim CETA-Abkommen mit Kanada gab es ähnliche Bedenken der europäischen Landwirtschaft wie nun bei Mercosur. Nach sieben Jahren liberalisiertem Handel mit Kanada wissen wir: Die Agrarexporte der EU sind um einiges stärker angestiegen, als Agrarimporte aus Kanada. Auch die europäische Landwirtschaft hat durch CETA profitiert. Details finden sich hier. Landwirtschaftliche Betriebe haben in der EU in den letzten Jahrzehnten viel Solidarität erhalten, wenn es darum ging, über Förderungen bestehende Überkapazitäten in der Produktion z.B. bei Milchprodukten abzubauen, oft leider auf Kosten von Entwicklungsländern. Es fließen immer noch über 30% des EU-Budgets in die Landwirtschaft, wobei Unternehmenssteuern einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung desselben leisten. Bei allem Verständnis für landwirtschaftliche Betriebe darf man sich beim Mercosur-Abkommen eine gewisse gesamtwirtschaftliche und allgemeinpolitische Betrachtung erwarten, die neben den im Vertrag und durch die Europäischen Kommission festgelegten Absicherungselementen sicherstellt, dass landwirtschaftliche Betriebe umgekehrt auch weiterhin jene Solidarität erhalten, die sie zurecht erwarten.
Fazit
Neben den ökonomischen Aspekten sprechen auch geopolitische Aspekte und der Zugang zu kritischen Rohstoffen und Mineralien, die Europa dringend für die Klimawende braucht, für den Abschluss des Mercosur-Abkommens. Ich bin dafür, dass sich – angesichts der beschriebenen Faktenlage – die österreichische Position zu Mercosur ändert. Dafür braucht es aus meiner Sicht ein Votum des Parlaments, aber alle vernünftigen Parteien sollten ein Interesse an der Umsetzung der größten Freihandelszone der Welt haben, die beiden Seiten – vor allem den Konsumentinnen und Konsumenten – Vorteile bringt. Zeit für eine breite Diskussion ist insofern, als eine Entscheidung auf EU-Ebene über das Abkommen wahrscheinlich erst im Sommer 2025 fallen wird, wenn der Text juristisch überarbeitet („legal scrubbing“) und in alle Sprachen übersetzt ist.
Foto: BMAW/Holey