Es ist ein positives Zeichen von Wohlstand und Produktivitätsfortschritt, wenn immer mehr Menschen in einer Volkswirtschaft weniger arbeiten müssen, um sich ihren Lebensunterhalt leisten zu können. Zudem kommt, nennen wir es, eine gewisse Mode der Mäßigung von Ansprüchen von jüngeren Generationen, die vor allem auf den Besitz langlebiger Konsumgüter wie Autos, Häuser oder Wohnungen aus eigenen Stücken immer öfter verzichten.
Warum beschäftigt uns der auch daraus resultierende Teilzeitboom – der übrigens in allen Alterskohorten stattfindet und nicht nur bei den Jungen – wirtschaftspolitisch und warum wird er oft negativ gesehen? Wohlgemerkt, wir sprechen hier, wie ich es in dieser Debatte immer getan habe, von freiwilliger Teilzeit. In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Teilzeit manchmal fließend – aber die Zahlen zeigen uns ganz eindeutig, dass es vor allem die freiwillige Teilzeit ist, die stark zunimmt. Das heißt natürlich nicht, dass es keine unfreiwillige Teilzeit gibt; in einigen Branchen ist sie aufgrund von Rigiditäten im Arbeitsrecht und wenig durchdachte Regelungen in Kollektivverträgen relativ weit verbreitet – auch hier braucht es Gegenmaßnahmen. Im Weiteren konzentriere ich mich aber auf die freiwillige Teilzeit.
Menschen haben höhere Bildung, bekommen bessere Jobs und erben vielleicht noch eine Wohnung oder ein Haus und haben damit geringere Lebenshaltungskosten als andere. Wenn man dann eine gewisse Einkommenshöhe als „ausreichend“ betrachtet und wenn einem genügend Freizeit vergleichsweise wichtig ist, dann muss die durchschnittliche Arbeitnehmerin bzw. der durchschnittliche Arbeitnehmer heute weniger lange dafür arbeiten als noch vor 20 oder 30 Jahren.
So weit so gut. Natürlich führt der Trend zur Teilzeit zu weniger gesamtwirtschaftlichem Wachstum. Die Arbeitszeitreduktion der letzten zwei Jahrzehnte ist in einzelnen Jahren stärker als der Produktivitätsfortschritt. Aber wirtschaftliches Wachstum ist kein Selbstzweck. Wenn es im Aggregat weniger Wunsch nach Konsum und mehr Wunsch nach Freizeit (in der – ob das stimmt, ist meines Erachten allerdings sehr fraglich – auch nicht mehr konsumiert wird), dann sinken die Wachstumsraten und alle wären damit zufrieden.
Privater Konsum und öffentliche Leistung
Warum geht diese Rechnung aber offensichtlich nicht auf? Erstens, weil in der Freizeit doch mehr konsumiert wird. Lassen Sie uns diesen Aspekt für unser Argument aber ignorieren, weil ich den zweiten Aspekt für zentraler halte: Weil, zweitens, sich alle ein gleiches oder höheres Niveau an öffentlichen Gütern und sozialer Absicherung wünschen. Das kann aber – besonders in einer alternden Gesellschaft – nur mittels höherem Wirtschaftswachstums verwirklicht werden.
Die angesprochene Mäßigung im Konsum habe ich noch nirgendwo analog im öffentlichen Bereich wahrgenommen: Da sollen der öffentliche Nahverkehr ausgebaut, die Gesundheitsversorgung verbessert, das kulturelle Angebot ausgeweitet, die Energiewende vorangetrieben, der Klimawandel bekämpft oder die Qualität von Schulen und Ausbildung verbessert werden. Oder haben Sie schon einmal jemanden getroffen, der Ihnen gesagt hat: „Ich arbeite jetzt ein bisschen weniger, und ich bin auch mit der Gesundheitsversorgung von vor 20 Jahren zufrieden. Wenn die bildgebenden Verfahren bei meiner Krebsvorsorge etwas weniger präzise sind oder Medikamente etwas stärkere Nebenwirkungen haben, dann ist das halb so schlimm.“?
Die implizite Vereinbarung unseres Gemeinwesens ist vereinfacht: Wer Vollzeit arbeiten kann, arbeitet Vollzeit. Wenn das nicht mehr der Fall ist, bekommen wir in einem grundsätzlich progressiv ausgestalteten Steuer- und Beitragssystem (also: mit steigendem Einkommen, steigen Steuern und Beiträge überproportional) ein Problem. Wenn dann noch die Alterung dazukommt, mit steigenden Kosten in jenen Bereichen, in denen die Kostenentwicklung ohnedies dynamischer ist als die Entwicklung der Wirtschaftsleistung, dann verschärft sich das Problem.
Und natürlich ist das Problem lösbar – auf verschiedene Arten und Weisen. Höhere Steuereinnahmen würden helfen. Ich persönlich sehe keinen Spielraum für eine zusätzliche Erhöhungen der Steuerquote, die jetzt schon eine der höchsten der Welt ist. Das würde etwa zu einer starken Abwanderung von Unternehmen, Stiftungen und jungen, leistungsfähigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern führen. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht über die Steuerstruktur an sich sprechen kann, allerdings unter der Prämisse der Aufkommensneutralität.
Anreize und eine gesellschaftliche Debatte
Finanzielle Anreize sind wichtig. Ich habe mich immer für eine Senkung der lohnabhängigen Steuern und Beiträge ausgesprochen. Auch für attraktivere steuerliche bzw. abgabenbezogene Lösungen für das Arbeiten nach dem Pensionsantritt. Die Progression bei der Einkommenssteuer an sich spielt sicher ebenfalls eine Rolle – gerade für Hochqualifizierte, die in Teilzeit recht gut verdienen, wirkt die relativ steile Progression in der Mitte der Einkommensstufen bei der Einkommensbesteuerung abschreckend, wenn es um eine Stundenaufstockung geht. Darüber hinaus gibt es jede Menge Vorschläge von Expertinnen und Experten – bis hin zur Verankerung der Progression bei der Lohnbesteuerung am Stundenlohn, wobei letzteres aus meiner Sicht nicht durchführbar ist. Zwischen diesem sehr weitgehenden Vorschlag und sinnvollen Anpassungen bei den Steuertarifen gibt es durchaus viele Möglichkeiten der Ausgestaltung von Steuer- und Sozialsystemen, um bessere Anreize für Vollzeitarbeit zu geben.
Aber finanzielle Anreize alleine werden nicht reichen. Gerade jene, die es sich jetzt schon leisten können, in Teilzeit zu arbeiten, haben bei den meisten existierenden Vorschlägen ein noch höheres Nettoeinkommen und würden daher noch eher die Ressourcen haben, um weniger arbeiten zu müssen. Wir brauchen daher auch eine gesellschaftliche Debatte. Diese Debatte, allein auf die Wettbewerbsfähigkeit zu reduzieren, wird dem Problem nicht gerecht. Es geht auch und vor allem um öffentliche Güter und Leistungen. Aber auch bei der Debatte um letztere geht es aus meiner Sicht viel zu viel um die Frage, wer was zahlt – also um die Verteilung. Genauso wichtig ist die Debatte darüber, wer welche Leistungen erbringen kann und damit zur Finanzierung solidarisch beiträgt. Entscheidungen darüber, wie viel man arbeitet, sind eben nicht nur individuelle Entscheidungen; sie haben auch Auswirkungen auf die Gesellschaft und ihre Leistungsfähigkeit als Ganzes in einem Sozialsystem, das vor allem auf lohnabhängigen Beiträgen beruht.
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